1.Spieltag der HVL-Liga 2024/25 – Einstand nach Maß oder missglückte Jungfernfahrt?

Wirkliche Gewissheit ist im Leben ein Luxus. Diese Erkenntnis überkam mich in letzter Zeit öfter. Während man eine begrenzt verlässliche Gewissheit über die physischen Dinge im Leben erlangen kann. Wo sind meine Mitmenschen? Ist das ein Auto was da auf mich zufährt? Und so weiter. Wenn es bei dieser Gewissheit über einfache Fragen schwierig wird, behilft man sich mit einer Brille oder Kontaktlinsen und das Problem ist gelöst. Bei den ideellen oder abstrakten Dingen im Leben, die meiner Meinung nach die Mehrheit der relevanten Lebensentscheidungen ausmachen, ist das schon anders. Und so offenbart sich nicht selten für jeden von uns, dass das Leben oberflächlich gesehen recht einfach ist, während sich darunter eine Komplexität verbirgt, die man nicht nur mit den Augen wahrnehmen sollte, sondern auch mit dem Verstand und manchmal auch mit dem Herzen. Erst dann offenbart sich einem eine Welt, die man mit so etwas wie Gewissheit füllen kann.

So in etwa ist es auch bei meinem Lieblingshobby dem Schachsport. Oberflächlich gesehen sind es nur 32 Figuren auf 64 Feldern. Das dahinter eine Anzahl an 10 hoch 124 möglichen Zügen steckt, mag man fast gar nicht glauben. Das sind ganz nebenbei mehr mögliche Züge als es Atome im Universum gibt. (Stand: Jetzt) Eine schier unendliche Zahl an Möglichkeiten, die einen anlächelt, wenn man sich mit dieser Sportart beschäftigt. So wie die Schachfreunde vom SC Oranienburg, die mit der dritten und vierten Mannschaft am 06.10.2024 zum Gastspiel bei Hellas Nauen antraten. Es war ungewiss wie dieses Aufeinandertreffen enden würde, also versuchte ich als Mannschaftsleiter alle Beteiligten zu motivieren und versprach allen Spielern eine Mahlzeit bei einer nicht näher genannten Fastfood-Kette , wenn beide Mannschaften mit einem 4:0-Sieg den Spieltag gewinnen würden. In dem Glauben damit einen klugen Schachzug gemacht zu haben, weil es (fast) ein Ding der Unmöglichkeit ist so hoch zu gewinnen, betraten wir das Spiellokal und suchten nach der Gewissheit auf dem Brett.

Die Partien bei Oranienburg III sahen wie folgt aus:

Brett I:  Stefan Sonsalla (SC-O) vs. Emma Charlotte Börner

Brett II: Alina Glaubitz vs. Gisbert Heinicke (SC-O)

Brett III: Felix Rosenhagen (SC-O) vs. Isabell Kuhfeldt

Brett IV: Linus Woko vs. Daivin-Luis Schramm (SC-O)

Beginnen wir mit der Partie an Brett II. Dort traf unser Routinier Gisbert mit schwarz auf die junge Alina Glaubitz, die ihre Partie mit e4 eröffnete. Jedoch dauerte die Partie fast nur einen Wimpernschlag. Bereits nach ein paar Zügen stand Gisbert wesentlich besser und drängte das junge Nachwuchstalent in die Defensive. Die völlig überrumpelte Spielerin verlor dann die Partie durch ein ersticktes Matt mit dem Springer. 1:0 für Oranienburg III.

Stefan Sonsalla an Brett I hatte da schon wesentlich mehr Mühe. Seine Gegnerin war hochmotiviert und konnte gut mithalten. Er eröffnete die Partie mit Springer f3 und es entwickelte sich eine lange Zeit umkämpfte Partie. Bis zum 18. Zug war die Partie weitestgehend ausgeglichen doch dann ging es auf dem Brett hoch her. Stefan verlor erst einen Turm gegen eine Leichtfigur, bekam aber dadurch ordentlich Gegenspiel am Königsflügel. Emma, die nun trotzdem objektiven Spielvorteil hatte fand allerdings nicht die besten Züge und so konnte Stefan am Königsflügel einbrechen. Der König von Emma musste sich dann auf eine lange Reise in die Brettmitte begeben, die natürlich alles andere als Sicherheit für ihn bedeutete. Schließlich beendete Stefan die Partie mit einem schönen Turmopfer, der die Dame zwang den König zu verlassen und so war der König im nächsten Zug matt. 2:0 für Oranienburg III

Am vierten Brett spielte unser jüngster im Bunde seine erste Partie überhaupt. Daivin-Luis Schramm bekam es mit dem ebenfalls jungen Linus Woko zu tun. Dieser begann die Partie mit e4 und schien recht gut vorbereitet. So dass er bereits nach ein paar Zügen eine Figur opferte um Daivins Stellung ins Wanken zu bringen. Dies gelang ihm leider auch und Daivin verlor erst seine Möglichkeit zu rochieren und danach seinen materiellen Vorteil. Man könnte vielleicht meinen, dass bei jüngeren Schachspielern die Partien lockerer sind, aber weit gefehlt. Beide kämpften verbissen um den Sieg. Ein Kampf den Daivin am Ende leider verlor und mattgesetzt wurde. Trotzdem Respekt für Daivin, der in einer ungünstigen Stellung nie aufgab und sich sicherlich seine Fehler in der Partie danach genau angekuckt hat. Nur noch 2:1 für Oranienburg III.

An Brett III entschied sich nun, ob der Dritten Mannschaft ein Auftakt nach Maß gelingen sollte oder nicht. Felix Rosenhagen spielte mit weiß gegen Isabell Kuhfeldt. Beide Spieler brachten sich in der Eröffnung erstmal in Stellung. Im Mittelspiel gewann Felix jedoch die Oberhand und zwang seine Gegnerin in ein für sie nachteiliges Endspiel. Felix hatte mehrere Freibauern und zog diese peu á peu nach vorne. Zwar waren beide Damen noch im Spiel aber am Ende stand Felix´Freibauer so günstig, dass er beide Damen mit Schachgebot tauschen konnte und gleich im nächsten Zug sich wieder eine Dame holte. Der viel zu weit entfernte König von Isabell musste dem ganzen Geschehen zusehen und so gewann Felix seine Partie völlig verdient. Der Endstand aus Sicht von Oranienburg III lautete also 3:1.

Schauen wir uns nun die Partien von SC Oranienburg IV an.

Brett I: Christopher Luthardt (SC-O) vs. Marvin Schneider

Brett II: Julian Möller vs. Aurimas Milasevicius (SC-O)

Brett III: Lyo Daniel Freischmidt (SC-O) vs. Elias Hermann

Brett IV: Ben Rehbein vs. Reno Brosius (SC-O)

An Brett IV duellierten sich Ben Rehbein und Reno Brosius. Reno mit schwarz wollte auf keinen Fall seinen noch jungen Gegner unterschätzen und ging mit einem Jahr Pause am Brett mit der nötigen Ernsthaftigkeit ans Werk. Er versuchte Theoriezüge zu vermeiden, da er darin einen Vorteil für seinen jüngeren Kontrahenten sah und probierte gleichzeitig so viele Figuren wie möglich auf dem Brett zu lassen. Eine Strategie, die zum Glück aufging. Im Mittelspiel brachte Reno die Stellung seines Gegners ins Wanken, als er erfolgreich den Springer auf c3 mit seinem Bauern auf b4 vertrieb. Jetzt hatte er selbst eine Springergabel und gewann die gegnerische Dame mit einem Schachgebot. Doch sein Gegner gab sich noch nicht geschlagen und probierte Renos Königsstellung zu attackieren. Dabei übersah jedoch der junge Nauener, dass sein Läufer hing, eine Gelegenheit die Reno sich nicht durch die Finger gehen ließ. Danach wurden die Türme getauscht. Reno holte sich eine zweite Dame. Sein Gegner konnte in dieser Stellung auf ein Patt hoffen aber dafür war Reno zu ausgefuchst und setzte letztendlich seinen Gegner nach 46 Zügen matt. 1:0 für Oranienburg IV

An Brett III bestritt Lyo Daniel Freischmidt seine erste Ligapartie für unseren Verein. Eine Tatsache, die man ihm in keinem Moment seiner Partie anmerkte. Bereits in der Eröffnung drängte er seinen Gegner in die Defensive, der zu seinem eigenen Leidwesen seine Figuren nicht optimal entwickelte. Nach kurzer Rochade des Naueners attackierte Lyo abgezockt wie ein alter Hase dessen Stellung. Mittels Fesselungen und Opfern, die die Stellung Elias´ peu á peu schwächten, gewann Lyo komplett die Oberhand und setzte seinen völlig überforderten Gegner letztendlich matt. Ganz ehrlich? Ein großes Kompliment an Lyo für diese schachliche Leistung.

Brett I war für unseren zweiten Mannschaftsführer Christopher Luthardt reserviert. Christopher mit weiß sorgte wie gewohnt, für den einen oder anderen taktischen Hingucker. Sein jugendlicher Gegner hielt jedoch mit allem was er hatte dagegen. Es entwickelte sich eine scharfe Stellung, die im Mittelspiel entweder in die eine oder andere Richtung hätte kippen können. Jedoch entschied sich die Partie erst kurz vor Ende und das zum Glück zu Gunsten von Christopher. Nachdem sein Gegner aufgab sagte ein sichtlich erleichterter Christopher: „Mann, was für eine scharfe Stellung.“ 3:0 für Oranienburg IV.

Kommen wir nun zur letzten Partie des Tages. Aurimas Milasevicius spielte mit schwarz gegen Julian Möller. Da der vielleicht 7- oder 8-jährige Nauener noch über wenig Erfahrung und keine Wertzahl verfügte war Aurimas natürlich favorisiert. Aurimas, der bekannt für seine Theoriefestigkeit ist, hatte es jedoch nicht so leicht gegen Julian. Es entwickelte sich eine ausgeglichene Eröffnung und keiner der beiden hatte einen entscheidenden Vorteil. Erst im Lauf des Mittelspiels zeichnete sich ein Vorteil zu Gunsten des Oranienburgers ab. Die Damen wurden getauscht und Aurimas verfügte im Zentrum über Freibauern, die er ins Ziel bringen wollte. Doch Julian kämpfte wie ein Großer und gab nicht auf. Aurimas verfügte jedoch über zwei gefährliche Bauern und konnte den ersten umwandeln. Zur Überraschung aller wandelte er diesen jedoch nicht in eine Dame um, sondern in einen Läufer. Er hatte in diesem Moment wohl schon den Sieg vor Augen, jedoch war der Weg dorthin steiniger als er dachte und im weiteren Verlauf rächte dies sich beinahe noch. Der Nauener kämpfte nämlich weiter und ihm gelang durch eine solide Endspielperformance beinahe noch ein Remis. Zum Glück kam es jedoch nicht dazu und so hieß es am Ende 4:0 für Oranienburg IV.

Fazit:

Mit den beiden Ergebnissen können die Oranienburger Schachfreunde wirklich zufrieden sein. Beide Mannschaften starten mit einem Sieg in die neue Saison und so kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass es ein Einstand nach Maß war und keine missglückte Jungfernfahrt á la Titanic, die kläglich am nächstbesten Eisberg scheiterte. Aus schachlicher Sicht gibt es also nichts zu meckern. Hoffen wir, dass beide Mannschaften ihre Form halten können.

Bis zum nächsten Mal.

Eure Schachfreunde vom SC Oranienburg